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Codehunter

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#24

AW: DSL -- Außerordentliches Kündigungsrecht?!

  Alt 15. Apr 2013, 07:56
Vielleicht kann ich etwas Licht in die Sache bringen...

Wir haben da erstmal zweierlei Dinge: Einen Liefervertrag, das ist was juristisches und eine Leitung, das ist was technisches.

Zuerst das Technische:

Beim DSL wird eine Kupferdoppelader quasi "bestimmungsfremd missbraucht", indem man ein Hochfrequenzsignal (beim DSL-16000 sind es immerhin bis zu 2,2 MHz) über eine Leitung überträgt, die dafür nicht konstruiert wurde. Innerörtliche und Überland-Telefonleitungen sind vieladrige Stränge ohne Einzelabschirmung mit einem Querschnitt zwischen 0,8 und 0,2 mm² - je nach Alter der Leitungen. Je älter die Leitung, desto größer der Querschnitt (früher war Kupfer hat einfach billiger). Schickt man ein HF-Signal über so eine Leitung, dann bewegt sich dieses im Mantel des Kupferstranges. Je größer der Querschnitt des Stranges, desto größer die Oberfläche der Leitung und desto besser die HF-Leitfähigkeit. Ältere Telefonleitungen (Baujahr 1930-1960) sind also paradoxerweise besser für DSL geeignet als neuere Leitungen.

Dummerweise ist bei so alten Leitungen die Wahrscheinlichkeit von Beschädigungen größer. Vielleicht hat mal ein Bagger was zerpflückt oder eine Baumwurzel hat was zerdrückt. Dann gibt es Flickstellen. Diese sind schlecht für HF-Übertragung. Denn auch diese wurden für das Telefonnetz konstruiert und nicht für HF. Keine Schirmung etc.

Die Schirmung ist an sich auch ein wichtiges, da fehlendes Element. Hat man ein vieladriges Telefonkabel, in dem ein einziges Adernpaar ein DSL-Signal führt, dann ist das quasi der Idealzustand. Dann "spielen" die Adern drumherum einfach Schirmung. Kommt dann im Laufe der Zeit aber noch ein oder mehrere DSL-Signal(e) dazu, dann wirds wieder schlechter: Die ungeschirmten Leitungen stören sich gegenseitig. Das kann man mit dem Rauschen im UKW-Radio vergleichen. Wird das Rauschen lauter, versteht man irgendwann die Musik nicht mehr. Das nennt sich "Signal-Rausch-Abstand" oder englisch "Signal-Noise-Ratio", kurz SNR. Das hat man vielleicht schon mal im Webinterface einer Fritzbox gesehen. Je kleiner der SNR, desto schlechter die Telefonleitung für DSL.

Die Leitungslänge, die oft als Hinderungsgrund für bzw. gegen DSL angeführt wird, spielt eine nachrangige Rolle. Zwar wird ein HF-Signal mit jedem Meter Leitung gedämpft, aber nicht so sehr dass man nicht nach 15 km noch eine DSL-Verbindung realisieren könnte. Heutige HF-Transceiver könnten das ohne weiteres leisten. Siemens hat vor Jahren mal die Teledat-DSL-Modems für die Telekom gebaut. Die Dinger hatten sehr gute Transceiver und holten aus Telefonleitungen bessere Verbindungen heraus als jeder andere DSL-Transceiver.

Zu der Zeit lief DSL, oder genauer gesagt ADSL, größtenteils noch in der Version 1. Dabei musste in der Vermittlungsstelle des Netzbetreibers festgelegt werden, welche Bandbreite (der Begriff kommt ja auch aus der HF-Technik) die Leitung hergibt. Dabei ging vorallem die Telekom sehr konservativ vor. Brachte die Leitung gerade so 6 Mbit, dann wurden i.d.R. 2 oder 3 MBit geschaltet. Einfach um sich Diskussionen mit den Kunden vom Hals zu halten. ADSL 1 konnte theoretisch bis 8 MBit übertragen. Um sich besagten Spielraum frei zu halten schaltete die Telekom daher bis maximal 6 MBit.

Irgendwann kam dann ADSL 2 dazu. Alle Anschlüsse mit Bandbreiten > 6 MBit nutzen mit Sicherheit ADSL 2. Dabei wird die Bandbreite nicht mehr in der Vermittlungsstelle fix eingestellt. Vielmehr handeln der netzseitige DSL-Port am nächsten DSLAM und das kundenseitige DSL-Modem/Router die verfügbare Bandbreite selbst aus. Dabei wird immer die aktuelle Signalqualität zugrunde gelegt.

So kommt es dann zu Situationen, dass in einer Straße der Nachbar 16000er DSL bekommt und man selbst nur 2000er. Man hat eben einen Flicken mehr in der Leitung, zufällig liegt die eigene Doppelader näher an anderen mit DSL-Signal usw.

Aus den beschriebenen technischen Rahmenbedingungen ergibt sich, dass die erzielbare Bandbreite nicht in Stein gemeißelt sondern eine ziemlich volatile Angelegenheit ist. Es ist also mitnichten so, dass man die erzielbare Bandbreite vor Vertragsabschluss "einfach ausmessen" könnte. Daraus ergeben sich für die DSL-Anbieter rechtliche Schwierigkeiten.

Gehen wir mal davon aus, der DSL-Nutzer wäre gleichzeitig Kunde des Netzbetreibers. Das ist in den meisten Fällen die Telekom. Diese betreibt die DSLAMs (Zugangsknoten) und ist Eigentümer der Leitungen. In dem Fall hat man bei jeglichen technischen Problemen die kürzesten Reaktionszeiten. Das soll jetzt keine Werbung für die Telekom sein, aber es ist tatsächlich so, dass man im Störungsfall am dort am schnellsten geholfen bekommt. Man kann z.B. den Support darum bitten, den DSL-Port zu resetten und dies geschieht noch während man den Supporter am Telefon hat.

Ist man Kunde bei einem anderen Anbieter, das steht ja jedem frei für wen man sich entscheidet, so laufen sämtliche leitungsbezogenen Aktionen (DSL-Schaltung, Fehlersuche etc.) über den Netzbetreiber. Daraus ergeben sich naturgemäß Reibungsverluste. Ein Port-Reset ist in dem Fall, wenn überhaupt, nur mit einigen Tagen Verzögerung machbar. Genauso verhält es sich, wenn die DSL-Leitung geschaltet wird: Der Konkurrenzanbieter bekommt die Leitungsdaten mit einiger Verzögerung.

Aus den genannten Gründen sind sämtliche DSL-Anbieter nicht in der Lage, eine bestimmte Bandbreite zu garantieren. Nicht bei Vertragsabschluss und auch nicht während der Vertragslaufzeit. Die Physik ordnet sich nun mal nicht den deutschen Paragraphen unter - auch wenn manche Juristen das gern anders hätten. Entsprechend sind die DSL-Verträge gestaltet. Das ist für den Kunden zwar unerfreulich aber tatsächlich nicht böser Wille der Anbieter sondern blanke Notwendigkeit.

Natürlich haben die Anbieter ein wirtschaftliches Interesse an Vertragsabschlüssen und -laufzeiten. Daher sind die Verträge mit "bis zu"-Formulierungen gespickt, welche eben das Kündigungs- bzw. Widerrufsrecht wirksam begrenzen. Doch ist es ebenso ein Gesetz des Marktes, dass nur zufriedene Kunden gute Kunden sind. Darum kann man eigentlich in vielen Fällen auf irgendeine Kulanzregelung hoffen. Zum Beispiel kann man meist in einen günstigeren Tarif wechseln wenn man zwar 16000er DSL bestellt, aber nur 2000er bekommen hat. Das ist dann aber keine Kündigung sondern nur ein Tarifwechsel.

Aber man sollte auch bedenken: Hat man ursprünglich 16000er bestellt, dann wurde die DSL-Leitung mit ADSL 2 geschaltet. Dieses könnte die Bandbreite theoretisch täglich neu aushandeln und evtl. später auch hochschalten. Wechselt man aber in einen Tarif mit rechtlicher Begrenzung auf 2 MBit, dann wird der Provider es unterbinden, dass höhere Bandbreiten genutzt würden. Der Kunde soll ja nicht mehr nutzen dürfen als er bezahlt.

Ergo sum: Bei entsprechenden Support-Anfragen trotz eigenem Frust freundlich bleiben. Denn ein genervter Supporter ist schwieriger zu einer Kulanzregelung zu bewegen.
Ich mache grundsätzlich keine Screenshots. Schießen auf Bildschirme gibt nämlich hässliche Pixelfehler und schadet der Gesundheit vom Kollegen gegenüber. I und E zu vertauschen hätte den selben negativen Effekt, würde aber eher dem Betriebsklima schaden
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