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Assarbad

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#130

AW: Warum ist Delphi so unbeliebt?

  Alt 16. Sep 2016, 23:51
Hallo nochmal.

Einige hier kennen mich ja noch unter anderen Pseudonymen. Daher will ich doch anhand des folgenden Zitats und meines eigenen Hintergrunds als Ex-Delphianer nochmal eine teuflisch böse These aufstellen. Der Antrieb entstand übrigens aus der Diskussion mit einem anderen Ex-Delphianer den einige hier sicher auch noch kennen würden.

Delphi ist unbeliebt, weil die Damen und Herren C-Frickler sich ihre Buttons samt Overflows lieber umständlich selbst zusammengeschrieben haben und alle die das zusammenklicken konnten für wertlose VB-Programmierer halten und hielten. Das man mit VS mittlerweile sowas auch bequem erledigen kann, nicht zuletzt Dank eines gewissen Delphi-Entwicklers das möchte man nicht erwähnen.
Vorab ein wenig zu meinem Hintergrund. Als Delphi und ich uns bereits auseinanderlebten, hieß der Eigentümer noch Borland (nach der Rückbenennung von Inprise). Das ist schon wieder ein Weilchen her.

Als "C-Frickler" begann ich damals erst, mich näher mit C auseinanderzusetzen und lernte unter anderem was ein Präprozessor ist. Ein Werkzeug das ich heute noch immer bei Delphi vermisse, wenn ich doch mal wieder Berührung damit habe. Ich lernte noch viele andere Dinge über das Bauen von Software, welche Delphi leider immer ein wenig zu gut vor den Entwicklern versteckt. Dann führte ich mir Stroustrup's Buch zu Gemüte und noch mindestens ein weiteres Dutzend von Büchern zum Thema C++, seitdem ist die Zahl noch angestiegen. Ich lernte die feinen Unterschiede zwischen C und C++, obwohl manch einer aus den beiden Lagern meint C++ sei doch sowieso nur eine Obermenge von C.

Ich eignete mir die Grundlagen von wxWidgets (damals noch wxWindows), MFC und ATL+WTL an; die beiden letzten benutze ich noch heute. Dann lernte ich noch Perl, Bash, Python, Lua, AWK (mawk und gawk), PHP, GNU Make, JavaScript, SQL (MySQL und SQlite) und machte ein paar Ausflüge zu C# und dem "guten" alten VBA in einer SCADA-Anwendung (Intellution iFix) in der ich die Oberfläche für eine Industriesteuerung für ein Glaswerk in Polen schrieb. Inzwischen schicke ich mich an Ruby auch noch zu lernen (kann es schon zu einem gewissen Grad selbst schreiben). Weitere Programmiersprachen und natürliche Sprachen stehen auf meine "zu lernen"-Liste. Ich habe auf PowerPC, SPARC, MIPS und ARM Defekte in Programmen gesucht und gefunden ("debuggt") und bin dabei auch vor den entsprechenden Assembler-Dialekten nicht zurückgeschreckt. Ich habe tiefgreifende Kenntnisse über Cross-Platform-Entwicklung (WDK, VS, SunC, GCC in verschiedenen Versionen, Clang) erlangt; und beherrsche WinDbg und auch GDB (mag aber den Debugger in VS nicht, weil der nicht sinnvoll zu skripten ist). Ich hab Software für AIX, FreeBSD, Linux, NetBSD, OpenMSD, OSX, Solaris und Windows entwickelt und gewartet und vielfach auch debuggt. Vor elf Jahren habe ich an zwei Kursen zum Thema Windows-Kerneltreiberentwicklung teilgenommen und bin seither auch diesem Thema treu geblieben. Ich arbeite auch mit vielen verschiedenen Versionskontrollsystemen und bin in der Lage die Funktion komplexer Programme auch ohne Quellen nachzuvollziehen (RCE). Dank LLVM und Clang, sowie AFL habe ich auch eine Menge neue Werkzeuge in meiner Werkzeugkkiste, die die Fehlersuche deutlich vereinfachen. Ich habe auch an vielen FLOSS-Projekten teilgenommen indem ich Fehler entdeckt und gemeldet habe oder auch indem ich große Mengen an Code eingeschickt habe.

So, und jetzt kommst du - Sherlock - und polterst pauschal gegen "C-Frickler" und unterstellst uns Dinge. Mein Problem damit ist vielfältig. Einerseits scheinst du zu implizieren, daß man in C keine ordentliche Software schreiben könne und daß "C-Frickler" ohnehin immer auf Delphianer als "wertlose VB-Programmierer" herabschauen. Daß ein Großteil der Software welche die Infrastruktur darstellt die wir hier gerade nutzen um uns hier auszutauschen in C und C++ geschrieben ist, ist dir vermutlich geläufig. Viele "höhere" Programmiersprachen wären nichts ohne C und C++. Ich komme von Delphi. Turbo Pascal war mein Einstieg in die Programmierung, gefolgt von x86-Assembler ... und mit Delphi hab ich zum ersten Mal auch in der Öffentlichkeit programmiert (ich sag nur Spotlight-Foren).

Ich hätte mir total gewünscht, daß Delphi seinen Möglichkeiten entsprechend gefördert worden wäre. Das vermochten aber nur die jeweiligen Eigentümer. Das ist nunmal das Problem bei einem kommerziellen Produkt. Aber essentielle Features wie 64-bit-Unterstützung oder auch nur eine halbwegs funktionierende "Unicode"-Unterstützung (also in dem Sinn in dem Microsoft "Unicode" in Windows benutzt) haben deutlich zu lange auf sich warten lassen. Anders Hejlsberg, den du ja vermutlich mit deinem letzten Satz meintest, hatte die Zeichen der Zeit erkannt.

Die Preisstaffelung ist alles andere als angenehm; und daß ich mir einen Haufen Klimbim mitkaufen muß, nur weil es der Vertrieb nicht hinbekommt sinnvolle Produktpakete und -erweiterungen davon zu schnüren ist nun auch kein sonderlich neues Problem in der Delphi-Welt. Und bitte kommt mir nicht mit "Starter" oder solchem Kram, denn erstens darf ich damit nicht alles (Lizenz) und zweitens kann es nicht alles (Funktionen). Und die nächsthöhere Ausgabe hat dann schon wieder soviel Ballast dabei den ich nie im Leben brauchen werde, daß er sicher für einen totalen Delphi-Fan oder eine Firma die darauf angewiesen ist, ein Schnäppchen darstellt - aber eben nicht für eine Menge Entwickler die zwar ernsthafte Projekte verfolgen, aber nicht immer in Form von Software für andere kleine und mittlere Unternehmen.

Viele der Probleme von Delphi und dem darum entstandenen "Ökosystem", zu dem sich die Delphi-PRAXiS ohne Zweifel zählen darf, sind hausgemacht. Es stünde dir also besser zu Gesichte deine scheinbar bedingungslose Verteidigung von Delphi nicht durch das Schleudern von Dreck auf "die anderen" zu versuchen.

Delphi hätte sich breiter aufstellen müssen und können. Kylix war ein Versuch in diese Richtung, aber wurde ebenso wie das Replay-Debugging in VMware Workstation viel zu früh eingestellt. Schade. Und jetzt gibt es alten Wein in neuen Schläuchen. Würde mich nicht einmal wundern wenn der Compiler dann auf LLVM basiert um eine kosteneffektive Abkürzung zu nehmen. Nichts gegen LLVM, aber irgendwie riecht das genau wie Opera's Umstieg weg von Presto, ein wenig wie Einheitsbrei.

Meine teuflisch böse These wäre also: Delphianer sind zu konservativ, zu wenig offen für Neues und vor allem feindselig gegenüber "den anderen". Während "die anderen" sich immer gegenseitig kreativ befruchten (ich meine selbst die Ideologen von GCC reden nun mit den Clang-Leuten), schmort die Delphi-Welt irgendwie im eigenen Saft.

Kann man machen, aber dann muß man sich doch nicht über Nachwuchsschwierigkeiten wundern, wenn es da draußen gefühlt jede Woche drei neue hippe Frameworks und eine neue Programmiersprache gibt.

Der Witz ist, daß die so verhaßten "C-Frickler" sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren vielleicht etwas stärker weiterentwickelt haben als man es ihnen zugetraut hätte. Auch wenn ich selbst noch einen C-Dinosaurier aus den 1980ern im Team hab. Ja, C geht auch noch im 21ten Jahrhundert und es kann so einiges. C++ ebenso, man denke nur an die neuesten Sprachstandards. Aber die werden auch von mehreren Interessengruppen ausgehandelt. Hat sich schon jemand von Borland/Inprise/Borland/Codegear/Embarcadero/IrgendwasMitI mit den Leuten von FreePascal und Lazarus zusammengesetzt? Da wäre doch Potential, oder? Hört man doch selbst hier im Forum immer wieder.

So, ich schlüpf' dann mal flott in meinen Asbestanzug
Oliver
"... aber vertrauen Sie uns, die Physik stimmt." (Prof. Harald Lesch)

Geändert von Assarbad (16. Sep 2016 um 23:55 Uhr)