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Codehunter

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Delphi 10.4 Sydney
 
#1

Die Delphi-Compiler

  Alt 25. Feb 2020, 08:50
Delphi-Version: 10.3 Rio
Hallo @alle und ausdrücklich auch Hallo @Embarcadero!

Seit langem beschäftigt mich ein Thema, das ich schon verschiedentlich, mehr oder minder OT in anderen Threads hier eingestreut habe. Heute hat mich ein Post von Himitsu dazu bewogen, dieses Thema mal direkt anzusprechen. Mir ist natürlich bewusst, dass Embarcadero dafür eigene Communities bereit hält. Allerdings ist mein Englisch nach eigenem Ermessen nicht so gut um mich politisch korrekt ausdrücken zu können Und ich weiß, dass der eine oder andere "Insider" durchaus auch mal hier mit liest.

Vor langer Zeit, als es Delphi noch gar nicht gab, war Pascal und dessen Compiler auf vielen Plattformen vertreten. Zu jener Zeit gab es auch noch mehr Vielfalt als heute, wo im Desktop-Segment ja x86(-64) mehr oder weniger gesetzt ist. Ich meine sogar, dass es dereinst für den Mac auch ein Turbo Pascal von Borland gab, kann mich aber auch täuschen.

Mit dem Erscheinen von Delphi legte sich Borland damals einerseits auf die x86er und andererseits auf Windows fest. Dabei blieb es dann auch. Was die Compiler angeht, bis IMHO XE2 als das erste Mal ein ARM-Compiler lieferbar war. Allerdings nur mit dem damals recht teuren Mobile Addon. Zuletzt kam dann ein Linux-Compiler hinzu, diesmal nur für die Enterprise-Editions. Neue Compiler wurden seitens Embarcadero seit jeher als aufpreispflichtiges Feature betrachtet. Nach einiger Zeit wandern sie dann "nach unten durch", siehe die sehr erfreuliche Freigabe der ARM-Compiler in der Community-Edition.

Wie kontraproduktiv diese Produktpolitik in meinen Augen ist, zeigt sich besonders am Linux-Compiler. Scheinbar betrachtet man Linux vorrangig als Profi-Plattform für Server-Umgebungen und verkennt dabei das Potential der Community. Zunächst ist der jetzige Linux-Compiler für x86-64, was die ganzen Raspberries erst einmal ausschließt. Allerdings gibt es auch x86er Einplatinenrechner wie den Odroid.

Zweitens fehlt dem Linux-Target in der Delphi-IDE von Haus aus jegliche Fähigkeit, GUI zu erzeugen. Dafür gibt es aber zumindest Hoffnung in Form von CrossVCL und FMXLinux. Besonders diese beiden Produkte zeigen, was technisch möglich wäre.

Warum liegt mir so viel an der Diversifikation der Compiler und der allgemeinen Verfügbarkeit auch in der Community Edition? Da wäre als erstes die seit Jahren anhaltende Neuausrichtung der gesamten Hardwarebranche. Im Mobilbereich fasste x86 niemals Fuß. Dort war neben einigen MIPS-Versuchen von Anfang an ARM das Mittel der Wahl. Seit neuestem halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Apple auch in der Desktop-Sparte künftig ARM statt x86 einsetzen könnte. Ich traue es ihnen zu, denn wenn eine Firma Erfahrung mit solchen Migrationen hat dann Apple. Schließlich haben die das mit MacOS schon zwei Mal gemacht: MC68000->PPC und PPC->x86.

Viel schwerer wiegt für mich jedoch der schleichende Niedergang von Windows. Man kann nur noch schwer die Augen davor verschließen: Microsoft hat ernsthafte Probleme mit der Produktqualität. Mittlerweile gibt es keinen einigen Patchday mehr, an dem nicht kurz darauf ein Update wegen Problemen zurückgezogen oder nachgepatched werden müsste. Zweitens die Windows-Oberfläche ist dermaßen komplex zu bedienen und unübersichtlich geworden, dass sich der Anwender-Frust immer öfter äußert. Drittens könnte zwar theoretisch jeder 15 Jahre alte Rechner auch Windows 10 betreiben, die Rechnerleistung würde ausreichen. Ist aber nicht wirklich gewollt, also zieht man künstlich Treibergrenzen ein.

Hier schließt sich dann der Kreis: Die Anwender sind durch die kurzen Release-Zyklen im Mobilbereich inzwischen auch größere Veränderungen gewohnt. Microsoft selbst hat das mit seinen radikalen Richtungswechseln bei den UI-Guidelines von Windows noch bestärkt (Ribbon-UI, Metro-UI usw.). Insofern halte ich es für möglich, dass sich eines Tages die Herde wie eine Stampie in Bewegung setzt und sich im Desktop-Segment von Windows verabschiedet. Um ehrlich zu sein war ich im Selbstexperiment geradezu entsetzt, wie viel besser so manche Linux-Distribution inzwischen zu handhaben ist im Vergleich zu Windows. Ja sogar, wie viel besser die Hardwareunterstützung gerade bei älteren Modellen ist. Dass praktisch sämtliche Probleme mit Druckern, Scannern usw. die es vor 10 Jahren noch gab, verschwunden sind. Wie reibungslos und vor allem in 99% aller Fälle ohne jeglichen Neustart inzwischen Updates erfolgen. Nicht ein einziges Mal ist es mir in den letzten 3 Jahren passiert, dass ein Update zu einem beschädigten System führte (bei Windows dagegen zwei bis drei Mal im Jahr).

Das ist inzwischen nicht mehr eine Sache von Nerds, das ist eine ernst zu nehmende Fragestellung. Gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltungen beginnt gerade ein Umdenken. Warum? Weil man mal wieder die Migration von Windows 7 auf 8, 8.1 und 10 verpennt hat und nun erkleckliche Sümmchen für den Windows 7 Extended Support zahlen muss. Viele Fachprogramme für Verwaltungen sind in Delphi programmiert. Was wenn demnächst qua Gesetz IT-Ausschreibungen ausdrücklich Plattformunabhängigkeit vorschreiben müssten? Dann haben Softwarehäuser mit Delphi ein Problem. Was werden die dann machen? Wenn schon größerer Umstellungsaufwand, dann am besten gleich zu einer Cross-Plattform-IDE wie z.B. (*leider* aus meiner Sicht) Java und Eclipse.

Deshalb liebe Entscheider bei Embarcadero: Besinnt euch endlich auf alte Stärken, auf das was Delphi einst groß gemacht hat. Das waren Datenbankanwendungen, Fachanwendungen, allesamt Desktop-Lösungen. Und vorallem: Ein solides Education-Programm! Dazu gehört mehr als eine kostenlose Community-Edition. Es bräuchte wieder Schulungs- und Lehrermaterialien. Die gesamte Delphi-Szene braucht händeringend Nachwuchs und von den Unis kommt nichts mehr außer C++ und Java. Zweitens macht bitte Delphi zu einer wirklich universellen IDE für Desktop-Anwendungen, egal ob nun Windows, MacOS oder eben Linux. Die IDE als solche muss ja nicht unbedingt (wie Kylix seinerzeit) auf anderen Plattformen laufen. Aber zumindest sollte es Plattform-Targets geben und zwar unabhängig von bestimmten, hochpreisigen Editions.

Mir ist klar, das ist eine äußerst langfristige Angelegenheit und mit Blick auf Shareholder Value evtl. nicht sexy. Aber langfristig wird es euch, Embarcadero, eure eigene Kundschaft danken.

Das war es was ich mal sagen wollte. Jetzt bitte nicht steinigen

Grüße
Cody
Ich mache grundsätzlich keine Screenshots. Schießen auf Bildschirme gibt nämlich hässliche Pixelfehler und schadet der Gesundheit vom Kollegen gegenüber. I und E zu vertauschen hätte den selben negativen Effekt, würde aber eher dem Betriebsklima schaden
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